Klimakrise in Vietnam: Wie Drohnen und 3D-Brillen den Reisanbau retten sollen (2024)

To Van Hoang, 28 Jahre, sagt, er habe eigentlich nie Bauer werden wollen, er wollte weit weg gehen von zu Hause und einen modernen Job finden. Ganz was anderes machen als seine Eltern. Der Grund, warum er nun doch Bauer geworden und in dem kleinen Dorf im Süden Vietnams geblieben ist: eine Drohne.

Durch ein Video in den sozialen Medien stieß Hoang zum ersten Mal auf einen Landwirt, der Hightechgeräte auf seinen Feldern einsetzt, damit sät und Pflanzenschutzmittel verteilt. Auf einmal, sagt Hoang, während er auf dem 30 Hektar großen Grundstück seiner Eltern im Mekongdelta steht, habe er wieder eine Perspektive gesehen für den Beruf des Bauern in Vietnam. Er begann zu kalkulieren. Bald darauf kaufte er sich eine eigene Drohne. »Früher haben wir fünf Tage gebraucht, um Düngemittel auf dem Grundstück auszustreuen. Mit der Drohne schaffe ich es allein in vier Stunden«, sagt er.

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Man kann in Vietnam gerade viele junge Menschen treffen, die sich wieder bewusst für ein Leben als Bäuerin oder Bauer entscheiden, statt in die großen Städte abzuwandern. Das liegt am technologischen Wandel, der sich dort seit einigen Jahren in der Landwirtschaft vollzieht. Dank »Smart Agriculture«-Programmen und Hightech sehen Menschen wie To Van Hoang eine Chance, trotz der Herausforderungen durch den Klimawandel weiter Landwirtschaft zu betreiben.

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Vietnam ist, neben Thailand und Indien, der größte Reisexporteur der Welt: Das Mekongdelta wird im Volksmund auch »die Reisschüssel« genannt, die Fischzucht und der Reisanbau aus dem Delta ernähren viele Regionen Vietnams. Die Äcker gelten dort als besonders fruchtbar – durchzogen von unzähligen Nebenarmen des Flusses, der das Land mit Wasser und nährstoffreichen Sedimenten schwemmt, ehe er ins Südchinesische Meer mündet.

Doch die Arbeit auf den Feldern ist körperlich hart, und der Ertrag der Bauernfamilien ist in den vergangenen Jahren unberechenbar geworden. Durch die Klimakrise verschieben sich Regen- und Trockenzeiten in der Region. Landwirte können sich nur noch selten darauf verlassen, dass auf eine Dürreperiode eine Regenzeit folgt. Erst im vergangenen April erlebte Südostasien Rekordtemperaturen; Experten befürchten, solche Hitzewellen könnten in den nächsten Jahren zunehmen und Frischwasser knapp werden – ein Problem gerade für die wasserintensive Reisproduktion. Die Vereinten Nationen warnen, dass Lebensmittel in Vietnam knapp werden könnten.

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Pandemie brachte der Drohne den Durchbruch

Und auch auf den Mekong ist kein Verlass mehr : Seit im Oberlauf des Flusses Wasserkraftwerke und Staudämme gebaut wurden, verändern sich die Pegel des Flusses. Entlässt ein Damm zur Stromgewinnung Wasser, werden ganze Felder weggeschwemmt. Sind die Wasserstände wiederum sehr niedrig, fließt Salzwasser vom Meer zurück in den Fluss – dadurch sterben Fische; die Reissaat geht dann nicht auf; die Ernte ist dahin. Zwischen 2019 und 2021 sanken die Wasserpegel auf ihren niedrigsten Stand seit 60 Jahren.

Wer will als junger Mensch da noch Reisbauer werden? Diese Frage interessierte die italienische Fotografin Chiara Negrello, als sie im vergangenen Jahr für zweieinhalb Monate mit ihrer Kamera durch die Dörfer im Süden Vietnams reiste. »Ich wollte sehen, wie sich die Region anpasst. Von den Drohnen hatte ich erst mal keine Ahnung«, erzählt sie.

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Dann traf sie durch Zufall Lê Quốc Trung. Er verkauft in der Gemeinde Tràm Chim Landwirtschaftsdrohnen einer chinesischen Firma. Das sind Geräte, die gerade noch hinten auf den Gepäckträger eines Mofas passen, mit massiven Rotorblättern und stabilem Rumpf. Sie können, je nach Modell, aus der Luft und satellitengesteuert die neue Saat in akkuraten Reihen einsetzen und präzise Dünger und Pestizide verteilen. Schädlingsbefall und Krankheiten der Pflanzen lassen sich mit der Kamera von oben identifizieren. Und dank der Drohne sparen Bauern viel Wasser. Mit speziellen Programmen können Kameras aus der Luft erkennen, wo die Erde eines Ackers besonders trocken ist, um dort gezielter zu bewässern.

Man sehe, sagt Fotografin Negrello, im Mekongdelta jetzt Bauern als Drohnenpiloten mit 3D-Brillen und Smartphones neben ihren Feldern stehen statt barfuß mittendrin.

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Viele Bauern können sich die Technologie nicht leisten

Unternehmer Trung, auch er Sohn einer Bauernfamilie, erzählte der Fotografin, dass er im Studium an der lokalen Uni die moderne Drohnentechnologie kennenlernte; er sah in ihr einen Ausweg aus der Krise der Landwirtschaft. 2018 öffnete er seinen ersten eigenen Vertrieb. Bauern können bei Trung die Drohnen entweder tageweise mieten – oder kaufen. Ein Gerät kostet inklusive Einführungskurs und Wartung umgerechnet 1500 Euro.

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Der Durchbruch für die Drohnen kam ausgerechnet durch die Pandemie. Junge Leute kehrten damals zurück in ihre Dörfer, gezwungenermaßen, weil sie in den Städten ihre Jobs verloren, die Unis und Ausbildungsstätten geschlossen waren. »Sie suchten nach Alternativen zu Hause. Viele arbeiteten sich in die moderne Landwirtschaft ein, digitalisierten die Betriebe ihrer Eltern, die zuvor eher kritisch gegenüber der neuen Technik eingestellt waren«, so die Fotografin. Nun verdienten die jungen Frauen und Männer als Drohnenpiloten, Programmierer oder mit der Wartung der Geräte ihr Geld.

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Für viele Bauern, sagt Negrello, sind die Geräte aber weiterhin zu teuer: Im Schnitt verdienen Feldarbeiter in Vietnam etwa 250 Euro im Monat. Laut der Weltbank fehlen Kreditprogramme, mit denen vietnamesische Bauern auf eine modernere Produktion umstellen könnten.

»Die Familien, die ich besuchte und die sich eine Drohne geleistet haben, sind alles andere als reich. Für sie ist es eine große Investition in die Zukunft ihrer Kinder«, sagt Negrello.

Ein Bild sei ihr besonders in Erinnerung geblieben. An einem Morgen zog Negrello mit der Kamera los, es lag Dunst über den Reisfeldern. Mittendrin schritt ein älterer Bauer mit einem langen Rechen in der Hand seine Reispflanzen ab, als eine Drohne des jungen Nachbarn vorbeiflog. Der Bauer sei vom Lärm zusammengezuckt und habe verärgert gegen das Gerät gewettert, sich dann aber wieder seiner Arbeit gewidmet.

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»Ich hoffe, dass die moderne Technologie in Zukunft hilft, dass die Menschen in der Region weiter von der Landwirtschaft leben können«, sagt die Fotografin, »im besten Fall können die Alten und die Jungen gegenseitig von ihrem Wissen profitieren.«

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

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